Muhammed Said Abdulla

 

 

 

Der Mensch

Wohin mit diesem Geist? Wohin mit diesem Schmerz?

Das sind die 'Lebensfragen' des Autors Muhammed Said Abdulla. Ausgestattet mit einer Sensibilität im Beobachten, wurde aus dem jungen Mann bald ein ein fantasiereicher Erfinder von Geschichten und ein brillanter Essayist. Er schaut seinen Mitmenschen aufs Maul, durchschaut sie und ihre Verhaltensweisen, erkennt und entlarvt die dünne Tünche der anerzogenen europäischen Kultur. Er geht auf in der Philosophie der Worte - und erfindet ein Alter Ego, ihr literarisch Leben einzuhauchen: Aus den drei Initialen seines Namens, aus M,S und A wird kurzerhand Bwana Msa - ein Detektiv a la Sherlock Holmes nur auf den ersten Blick. Denn was vom Plot der Erzählungen, von der Gestaltung seiner Abenteuer klar auf das große englische Vorbild verweist, das bildet nur einen Teil der Facetten dieser Persönlichkeit. 

Bwana Msa ist ein Mensch der Kultur, ein Liebhaber der gepflegten Konversation ebenso wie ein Sammler von Wissen, ein ewig fragender und stets spekulierender, Antworten ersinnender Zeitgenosse. Er verwirrt seinem Freund Najum den Sinn wie ein Sokrates, wenn er ihm auf dem Markt begegnet. Er erstellt Täterprofile anhand von Indizien, die sein Freund Inspektor Seif arrogant übersieht. Dabei gerät er immer nur durch Zufall in einen 'Fall' hinein - er ist eben als Rätsellöser bekannt. Manchmal verprellt er mit seiner Wortklauberei beinahe die Klienten. Aber immer ist er eines: anderen geistig überlegen.

Genau hier treffen sich Alter Ego und Autor: Das Wissen, die Lust am Abgründigen, Hintergründigen, das verfeinerte Analysieren von Sachverhalten ebenso wie die Spiegelung des Menschen in einer im Spagat zwischen Tradition und Moderne gezerrten Gesellschaft - all das gießt Muhammed Said Abdulla in seinen Bwana Msa, sein Sprachrohr.

Und später seine Zuflucht. 1964. Revolution auf Sansibar. Massenmord. Seine Frau, seine Töchter, sein Vater - tot. Eine Welt, in der Täter und Opfer jahrzehntelang nebeneinander existieren, die gleichen Orte, Straßen, Wege gehen, eine Welt, in der wieder eine Tünche das Leid, die Verluste, den Hass und die Resignation überzieht - aus dieser Welt flieht Muhammed Said Abdulla, flüchtet sich zunächst in Alkohol und Einsamkeit. Dann schreibt er weiter. Und wird zu einem der größten Schriftsteller seiner Insel.

 

Jugendbildnis des Autors

 

Sein Leben, seine Werke

Am 25.April 1918 in Sansibar geboren, begeisterte sich Muhammed Said Abdulla schon in der Schulzeit daran, eigene Geschichten zu erfinden. Nach Abschluss seiner Ausbildung arbeitete er zehn Jahre als Inspektor der kolonialen Gesundheitsbehörde, dann wurde er Journalist. 1948 stieg er zum Chefredakteur der Zeitung ‚Zanzibari‘ auf und war auch Redakteur bei anderen Blättern. Die letzten zehn Jahre bis zu seiner Pensionierung 1968 arbeitete er für das Landwirtschaftsmagazin ‚Mkulima‘. Neben seiner journalistischen Tätigkeit veröffentlichte er auch Kurzgeschichten und Essays zu verschiedensten Themen. Berühmt aber wurde er durch die Figur des Detektivs Bwana Msa. Dessen erstes Abenteuer, ‚Mzimu wa watu wa kale‘ (Der Geisterwald der Ahnen), wurde 1959 in einem Schreibwettbewerb der damaligen britischen Protektoratsverwaltung prämiert und im darauf folgenden Jahr erstmals veröffentlicht. Dieser Erfolg ermutigte den Autor, weitere Episoden folgen zu lassen. Persönlich schwer geschlagen in der Revolution von 1964 (bis auf einen Sohn wurde seine gesamte Familie umgebracht), stellte sein Schreiben dabei auch eine Flucht in eine andere Welt dar.

Nach ‚Mzimu wa watu wa kale‘ ließ Muhammed Said Abdulla sein Alter Ego noch in fünf weiteren Romanen seine Kunst unter Beweis stellen: ‚Kisima cha Giningi‘ (Der Brunnen von Giningi) erschien im Jahre 1968. ‚Duniani kuna watu‘ (Menschen in der Welt) 1973, ‚Siri ya sifuri‘ (Das Geheimnis der Null) 1974, ‚Mwana wa Yungi hulewa‘ (Auch ein Teufelskind wird großgezogen) 1976 und ‚Kosa la Bwana Msa‘ (Bwana Msas Fehler) 1984. Des weiteren verfasste Muhammed Said Abdulla Essays, Kurzgeschichten sowie 1975 einen Roman ohne den Protagonisten Bwana Msa, 'Mke mmoja, waume watatu' (Eine Frau, drei Ehemänner).


Im März 1991 verstarb der Autor in seiner Heimatstadt Sansibar.

 

 


Bwana Msa


Bwana Msa, der pfeifeschmauchende Philosoph und Blitzkombinierer, der mit der Geschmeidigkeit eines Sherlock Holmes Fälle zu lösen vermag, die die Polizei und den Rest der Welt vor Rätsel stellen, ist Muhammed Said Abdullas liebstes Ziehkind. Msa, ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben seines Schöpfers, teilt mit diesem nicht nur den unbändigen Drang zum Pfeiferauchen. Auch die Freude an philosophischen Betrachtungen, in der die Liebe zur seiner Muttersprache Swahili besonders zum Ausdruck kommt, ist ein Steckenpferd des Autors selbst. Auf facettenreiche Weise gelingt es ihm, sprachliche und kulturelle Tradition mit westlichen Stilmerkmalen zu vereinen. In Gemeinschaft seiner Freunde, dem jungen Sansibari Najum und Spekta Seif, einem Polizeikommissar klassischer Prägung, taucht der Detektiv Bwana Msa - meist zufällig - in die Verstrickungen und Geheimnisse einer Umgebung ein, die dem Autor persönlich vertraut war. So finden sich in jedem seiner Romane Episoden typisch afrikanischer Lebensläufe. Durch Schicksalsschläge zerrissene Biografien, Verluste von Heimat und Angehörigen, Neuanfänge an anderen Orten und undurchsichtige Verwandtschaftsverhältnisse. Daneben spielen ganz universelle Motive eine wesentliche Rolle: Gier und Neid um Macht und Geld, klassische Triebfedern des Verbrechens. Doch nicht allein die rein kriminalistischen Aspekte machen diese Krimis interessant. In jedem seiner Bücher schildert Muhammed Said Abdulla ebenso eine Situation, in der sich fast jeder Afrikaner wiederfindet: Dem Gegensatz zwischen modernem, an westlichen Begriffen orientiertem und nach europäischem Muster gestaltetem Leben und der überlieferten Tradition. Eine Tradition, die sich - besonders auf Sansibar - sehr vielschichtig darstellt. Sie ist geprägt von der Geschichte dieser Insel. Frühe Zusiedlung aus dem arabisch-persischen Raum, einhergehend mit der Etablierung des islamischen Glaubens, das Entstehen eines Handelsimperiums unter der Sultansherrschaft der Omani-Araber, die Einfuhr von Sklaven aus dem afrikanischen Festland, das Auftreten indischer Groß- und Kleinhändler, europäischer Forscher und später Kolonisatoren - das alles machte Sansibar zu dem, was es noch heute ist: eine bunte Mischung verschiedener Völker und Religionen. Hinter all dem aber schimmern immer wieder urafrikanische Traditionen durch, wie der Glaube an die Ahnengeister oder das Vertrauen auf einheimische Heilkunst und Magie.

 

                                                                                                             

 


All diesen Facetten bietet Muhammed Said Abdulla Raum, sie tauchen in den Personen seiner Romane ebenso auf wie in den philosophischen Exkursen des Hauptdarstellers. Bwana Msa auf seinen Wegen durch die Gesellschaft und Kultur Sansibars zu begleiten, ist mehr als nur einen Krimi zu verfolgen. Es ist Sansibar/Afrika hinter den Kulissen. Stilistisch sind die Werke Muhammed Said Abdullas von einer frischen, verfeinerten Sprachlichkeit gekennzeichnet, der glaubwürdigen Wiedergabe von Reden und Handeln der einzelnen Charaktere, getreuen Milieuschilderungen und einem feinen Sinn für Humor. Sprache dient ihm als Instrument der Modulation, um in einfühlsamer Weise mit Geschick die unterschiedlichsten Sprechweisen seiner Personen wiederzugeben, seien es nun Inder oder Araber, gebildete Sansibaris aus der Stadt oder einfache Leute vom Land - oder eben Bwana Msa selbst mit seiner weltoffenen Intellektualität, der meisterhaft mit allen Finessen des Swahili zu spielen versteht. Nicht umsonst gilt Muhammed Said Abdulla in Fachkreisen als Begründer des modernen Swahili-Romans.

 

 

 

 


Der Kalamu Verlag freut sich, diesen berühmten, leider in Vergessenheit geratenen Autor endlich der deutschsprachigen Leserschaft nahebringen zu können.